Die eigene Kreativität entdecken und fördern: Ein Interview mit der Illustratorin Marion Deuchars
Höchstwahrscheinlich ist Ihnen ihre Arbeit schon in der einen oder anderen Form begegnet. Vielleicht haben Sie Post aus dem Vereinten Königreich erhalten und konnten dadurch eine der außergewöhnlichen Briefmarken bewundern, die Deuchars für Royal Mail entworfen hat. Oder Sie haben ihr Werk für das britische Imperial War Museum gesehen oder kennen ihre weithin gefeierte Buchreihe „Let’s Make some Great Art“, die Kinder auf eine spannende und witzige Art und Weise inspiriert, die prägende Kraft der Kunst für sich zu entdecken. Ihr Stil hat einen großen Wiedererkennungswert und hat bereits zahlreiche Illustratoren auf der ganzen Welt beeinflusst. Aus diesen Gründen freuen wir uns sehr, dass sie sich die Zeit genommen hat, mit uns zu sprechen und uns in die Geheimnisse ihrer kreativen Arbeitsweise einzuweihen.
Deuchars hat uns von ihren Inspirationsquellen erzählt und davon, wie ihre feste Überzeugung, dass ihre besten Werke noch vor ihr liegen, sie anspornt. Außerdem haben wir bei unserem Treffen erfahren, wie Technologie ihre Arbeitsweise von Grund auf verändert hat.
Was hat Sie zur Typografie geführt?
Typografie war schon immer ein fester Bestandteil meiner Illustrationen, aber meinen wahren Durchbruch hatte ich durch eine Zusammenarbeit mit Vince Frost für D&AD. Vince sollte den Jahresbericht erstellen und hatte die Idee, dass ich den gesamten Bericht von Hand schreiben und zeichnen sollte. Die Idee erschien damals erstmal etwas waghalsig, um nicht zu sagen völlig verrückt, da Handschrift und Handzeichnungen auch schon zu dem Zeitpunkt alles andere als zeitgemäß waren. 3.000 Wörter und zahlreiche schriftbasierte Illustrationen später wurde der Bericht zu einem durchschlagenden Erfolg. Es war ein rundum gelungenes Resultat, es passte einfach perfekt zum D&AD Bleistift-Logo.
Mittlerweile ist mein Schriftstil, ist die Art der Buchstaben ein Alleinstellungmerkmal, auch wenn das Ganze in meinen Augen eigentlich nur meine normale Handschrift ist. Aber mein Stil hat damals einfach optimal in das Konzept gepasst und das ganze Projekt perfekt abgerundet. Dieser Erfolg hat mir eine Menge weiterer Aufträge beschert und eine zunehmende Anhängerschaft, die meinen Stil glücklicherweise sehr wertschätzt. Ja, ich hatte einfach großes Glück und bin dankbar dafür, wo ich jetzt im Leben stehe.
Das klingt so, als würden Sie das nicht als selbstverständlich erachten.
Meine größte Befürchtung ist es, eines Morgens aufzuwachen und nicht mehr den Wunsch zu verspüren, etwas zu kreieren. In mir wohnt eine kreative Energie, die mich ständig dazu antreibt, etwas Neues und Kreatives zu tun. Das nehme ich ganz sicher nicht selbstverständlich hin. Ich habe schon auch Angst, diesen Tatendrang mal zu verlieren. Das mag vielleicht ein seltsamer Beweggrund sein, aber ich bin davon überzeugt, dass meine beste Arbeit noch vor mir liegt. Dass sie zum Greifen nah ist.
Wie schaffen Sie es, angesichts dieser Befürchtungen so kreativ zu bleiben?
Selbstvertrauen spielt dabei eine große Rolle. Wer selbstbewusst ist, traut sich viel leichter, sich die Freiheit zu nehmen, neue Dinge zu entdecken. Ist das Selbstbewusstsein geschwächt, kann das den Druck enorm erhöhen. Mir persönlich fällt es dann jedenfalls schwerer, etwas auf die Beine zu stellen, mit dem ich vollends zufrieden bin und das ich gerne der Öffentlichkeit präsentieren möchte.
Social Media hat sicher auch dazu beigetragen, dass sich mehr und mehr Menschen kreativ ausdrücken möchten und es vor allem auch tun. Ich habe schon den Eindruck, dass es mehr Freiheit gibt, sich selbst zu verwirklichen und seine Werke auf so vielen Wegen mit der Welt zu teilen. Sicher, manchmal kann das einen auch überfordern, wenn gefühlt die ganze Welt nur so vor kreativer Energie überquillt. So viele talentierte Menschen erschaffen so viele unglaubliche Dinge zur gleichen Zeit. Doch es hilft einem auch dabei, neue Leute für potenzielle Projekte und somit auch tolle neue Inspirationsquellen kennenzulernen.
Hatten Sie schon mal das Gefühl zu versagen? Wie haben Sie es überwunden?
Ich habe eigentlich ständig das Gefühl zu versagen. Ich schwanke immer zwischen überdimensionalem Selbstvertrauen und totaler Unsicherheit. Die meisten meiner Buchprojekte durchlaufen beispielsweise eine Phase, in der ich nicht arbeite, weil ich der Überzeugung bin, niemals fertig zu werden, oder dass es einfach nicht gut genug ist.
Meistens gelingt es mir, mich zusammenzureißen und die Flucht nach vorn anzutreten. Ich probiere einfach viele verschiedene Dinge aus und versuche, nicht zu intensiv darüber nachdenken. Es gibt Tage, da bin ich zufrieden mit dem Ergebnis. An anderen läuft alles schief und die gesamte Arbeit eines Tages landet im Abfalleimer. Dann fange ich wieder ganz von vorn an.
Wie kurbeln Sie Ihren kreativen Kreislauf wieder an, wenn Sie sich so fühlen? Wie gelingt es Ihnen, innovativ zu sein und ein gutes Ergebnis zu erzielen?
In dieser Gemütslage fällt es mir natürlich relativ schwer, kreative Geistesblitze zu haben. Aber ich glaube, dass es am wichtigsten ist, nach vorn zu blicken, einfach weiterzumachen, seine Fähigkeiten zu erweitern oder etwas ganz Neues zu lernen, sich selbst herauszufordern. Es gibt viele Dinge, die ich ausprobiere, um mein Interesse zu wecken und den Funken zum Überspringen zu bringen. Mein Arbeitsansatz ist vor allem von haptischer Erfahrung geprägt, ich muss meine Werke anfassen können und mit bestimmten Werkzeugen bearbeiten, da kann auch schnell mal was schiefgehen. Das ist aber nicht schlimm, denn daraus können sich auch wieder neue Ideen und Möglichkeiten ergeben.
Ich versuche mich an vielen verschiedenen Dingen, ohne genau zu wissen, was sich daraus ergibt. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich bei den meisten Projekten am Anfang nicht, wie sie letztendlich aussehen werden, auch weil ich insgeheim auf eine Art Überraschungseffekt hoffe. Das macht für mich den Reiz an meiner Arbeit aus. Etwas Alltägliches zu nehmen und ihm etwas Neues, Unbekanntes hinzuzufügen.
Das Logikzentrum im Gehirn will dieses Fünkchen Kreativität ersticken. Es sagt einem immer, dass man es nicht schaffen wird. Weil ‚es falsch aussehen wird‘. Logik und Kreativität behindern sich gern gegenseitig, also muss man sich dagegen wehren.
Nebenbei besuche ich außerdem Kurse, um neue Sachen zu entdecken und auszuprobieren. Man sollte niemals aufhören zu lernen oder sich selbst zu fordern. Je mehr Fähigkeiten und Ideen man in sich aufnimmt, desto mehr Verknüpfungen kann das Gehirn schaffen. So lässt sich auch die eigene Kreativität viel besser entfalten. Ein isoliertes und in sich abgeschlossenes System kann sich nicht weiterentwickeln.
Das klingt, als würde bei Ihnen keine Langeweile aufkommen, sogar wenn Sie das Gefühl haben, es würde Ihnen gerade an Kreativität mangeln. Wie bringen Sie Ihre kreative Energie schließlich für neue Projekte ins Rollen?
Deadlines helfen mir natürlich dabei, mich auf ein Ziel zu konzentrieren. Ich arbeite seit 25 Jahren als gewerbliche Illustratorin, daher laufen immer ein paar Projekte, die zeitnah erfüllt werden müssen und durch die ich angehalten bin, meinen Job rechtzeitig, aber auch zufriedenstellend zu erledigen.
Ich arbeite jeden Tag in meinem Studio. Ich habe noch nie von zu Hause gearbeitet, da ich dafür einfach nicht die Disziplin aufbringen kann. Für mich ist es außerdem sehr wichtig, Arbeit und Freizeit zu trennen. Ich habe ein Studio in London zur Verfügung und ein zweites auf dem Land, damit ich auch mal rauskomme, wenn mir die Decke auf den Kopf fällt.
Woher nehmen Sie die Ideen für neue Projekte?
Am liebsten setze ich mich mit einem Notizblock und einem Stift in ein Café. Das klingt simpel, kann aber unglaublich inspirierend sein. Mein Laptop und Telefon bleiben dann zu Hause und ich gönne mir ein paar Stunden, in denen ich einfach nur dasitze und die Welt an mir vorbeirauschen lasse. Ich lasse all die kreativen Eindrücke durch meinen Kopf fließen, ohne groß nachzudenken, und mache mir nur ein paar Notizen bzw. fertige ein paar Skizzen an.
Ich lebe in London, wo ich täglich mit unterschiedlichsten Eindrücken, interessanten Leuten und neuen Ereignissen konfrontiert werde. Unterbewusst nehme ich das alles in mich auf. Der Puls der Stadt treibt mich an.
Ach ja, und vor dem Einschlafen und direkt nach dem Aufwachen bin ich besonders kreativ, also liegen Notizheft und Stift auch immer auf meinem Nachtschrank bereit.
Unter welchen Umständen arbeiten Sie am besten?
Ich glaube, meine besten Arbeiten entstehen, wenn ich sie für Leute entwickle, die ich mag und respektiere. Zudem habe ich die eindrucksvollsten Ideen, wenn ich nicht zu intensiv darüber nachdenke. In meinem Studio verschwende ich viel Zeit mit Aufräumen, Schmökern und dem Ausprobieren von neuen Materialien. Daraus entwickeln sich jedoch sehr oft spannende und unerwartete Einfälle. Wenn ich zum Beispiel plane, eine bestimmte Zeichnung fertigzustellen, bekomme ich plötzlich Lust, bunte Kreise zu malen, die absolut nichts mit der geplanten Zeichnung zu tun haben. Lasse ich mich ablenken, werde ich häufig mit einem interessanten Kunstwerk belohnt.
Sie arbeiten offenbar viel mit traditionellen Materialien und Methoden – Malen und Zeichnen –, aber hat auch die Technologie Ihren kreativen Prozess beeinflusst oder verändert?
Auf jeden Fall, Technologie hat vieles verändert. Mein Hintergrund sind ursprünglich die schönen Künste. Ich liebe es, zu zeichnen und zu malen, aber natürlich scanne ich mittlerweile viele Arbeiten für den Druck ein. Ich setze Technik also vor allem als unterstützendes Tool ein, wenn ich künstlerisch tätig bin. Und das hat sicher auch die Art und Weise verändert, wie ich eigentlich zeichne. Früher musste man alles auf einen Schlag perfekt machen, Nachbessern war da meist schwierig. Heutzutage arbeite ich, als würde ich einen Siebdruck erstellen, nur ohne die Maschinerie. Ich arbeite in Schichten, die ich also auch in verschiedenen Stufen anfertige. Ich zeichne alles in Graustufen oder getrennten Farbtönen. Ich nehme Sachen auseinander und füge sie wieder zusammen. So kann ich optimal an den jeweils einzelnen Elementen arbeiten.
Die Technik schenkt mir als Künstlerin die Freiheit, jedem Werk seine eigene Persönlichkeit einzuflößen. Meine Arbeit besteht beispielsweise aus mehreren Schichten und Bildern, die ich übereinanderlege, um das Gesamtbild zu erschaffen. Jede Schicht ist eine große Datei. Wegen der enormen Dateigröße musste ich früher immer am selben Computer arbeiten, aber mit Tools wie Dropbox kann ich jetzt von überall aus daran arbeiten.
Ein Kunstwerk mag manchmal vielleicht einfach aussehen, doch ich kann Ihnen versichern, dass in der heutigen Zeit unheimlich viel Planung im Vorfeld notwendig ist, um es zu vollenden. Je einfacher etwas aussieht, desto mehr Aufwand hat jemand vermutlich darin investiert.
Eine letzte Frage: Wenn Sie einer jüngeren Version Ihrer selbst einen Ratschlag geben könnten, was würden Sie ihr sagen?
Ich wünschte, ich hätte früher mehr mit Büchern gemacht. Das war eigentlich immer mein Traum. Aber wer weiß, vielleicht wäre ich dann nicht die Künstlerin, die ich heute bin. Ich denke, es ist wichtig, sich durch schwierigere Zeiten und Projekte zu kämpfen. Das formt einen als Individuum und hilft, sich selbst zu finden und seine Stärken zu entdecken.
Wenn man älter wird, geht es weniger darum, seine Werke zu verkaufen, sondern die Ideen dahinter. Ich werde heute viel häufiger gefragt, wieso ich bestimmte Dinge tue. Ich bin in der glücklichen Lage, dass meine künstlerische Arbeit anderen Menschen etwas bedeutet und mir sehr viel Spaß macht.
Daher wäre mein Ratschlag für andere, Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen. Sich nicht vom rationalen Teil seines Gehirns demotivieren zu lassen und mehr Sachen durchzuziehen, die sich richtig anfühlen.
Sehen Sie sich Deuchars’ neues Buch, Bob’s Blue Period, hier an. Auf ihrer Website können Sie noch mehr über die Künstlerin und ihre Arbeit erfahren. Weitere Erfahrungsberichte zum Thema Kreativität, und wie Sie auch Ihre eigene Kreativität entfachen können, finden Sie hier.