Im Interview mit Chris Rowson: Teambuilder, Gestalter, Schwamm
Das Cannes Lions International Festival of Creativity ist ein Magnet für inspirierende Persönlichkeiten aus aller Welt. Zu den Besuchern zählen viele Experten, die große kreative Risiken auf sich genommen haben, um zu den Besten auf ihrem Gebiet zu werden. Wir hatten das Glück, in einer vollgepackten Woche beim Cannes Lions ein paar dieser Persönlichkeiten kennenzulernen. Erfahren Sie mit uns, was sie bewegt, mit wem sie arbeiten und wie es ihnen gelingt, kreativ zu arbeiten.
Chris Rowson ist Leiter der Designabteilung und Group Creative Director bei TBWA New York, einer der berühmtesten und erfolgreichsten Kreativagenturen der Welt. Die Mitarbeiter der Firma haben ein Talent für ein überraschendes, aufregendes Design und Rowson hat eine bedeutende Rolle in vielen ihrer Kampagnen gespielt. Wir haben uns mit ihm getroffen, um herauszufinden, was er von Teamarbeit hält und welche Ratschläge er einer neuen Generation von kreativen Köpfen mitgeben würde.
Wie er sich inspirieren lässt
Wann fühlen Sie sich am kreativsten?
Ich fühle mich meistens am Ende eines Arbeitstages so richtig kreativ. Bis dahin habe ich mir meistens einen Überblick über alle laufenden Kampagnen verschafft, habe mir Referenzen angesehen, an einem Projekt herumgebastelt oder es sogar schon abgeschlossen und war in unzähligen Meetings. Und nach der Arbeit laufe ich gerne nach Hause. Das ist zu einer kleinen Routine geworden, auch wenn ich dafür ungefähr eine Stunde brauche. Aber so kann ich besser nachdenken und die Ideen fliegen mir förmlich zu. Ich finde dabei schnell Inspiration, dafür brauche ich nur an Schaufenster oder Wandmalereien vorbeilaufen oder Straßenkünstler beobachten. Vielleicht bin ich da ein Einzelfall, aber für mich ist das definitiv die Zeit, in der ich mich am kreativsten fühle.
Bei uns arbeiten Designer, Illustratoren, Fotografen, Typografen, Filmemacher, Redakteure, Motion Designer und Hersteller von 3D-Modellen. Wir stellen auch Animationen her. Mit all diesen Skills unter einem Dach kann man fast alles kreieren.
Kreative Kreationen durch Teamarbeit
Sie haben schon über Ihren persönlichen kreativen Prozess gesprochen. Aber wie arbeiten Sie mit anderen im Team?
Ich baue bereits seit sieben Jahren Teams auf. Wir sind kein klassisches Designstudio, bei dem man sich 2D-Modelle ansieht und dann einfach anpasst. Wir sind eher ein kreatives und proaktives Studio. Und das erfordert viel Kooperation. Bei uns arbeiten Designer, Illustratoren, Fotografen, Typografen, Filmemacher, Redakteure, Motion Designer und Hersteller von 3D-Modellen. Wir stellen auch Animationen her. Mit all diesen Skills unter einem Dach kann man fast alles kreieren.
Alle Projekte, an denen ich bisher gearbeitet habe, basieren auf Teamarbeit. Dabei haben wir keine festen Rollen – manchmal stammt das Konzept von mir, manchmal von einem Typografen oder einem Fotografen. Dann beratschlagen wir uns, wie wir das Ganze angehen und trommeln die Leute mit dem passenden Know-How aus unserem Unternehmen zusammen, die uns mit dem Projekt helfen können.
Wenn man sich unsere Leute ansieht, bemerkt man, dass eigentlich keiner von ihnen aus der Werbebranche stammt. Das sind alles Menschen, die aus unterschiedlichen Bereichen, aus unterschiedlichen Fachrichtungen kommen. Viele von ihnen haben studiert. Es ist ein bunt gemischtes Team, mit Leuten aus Korea, Brasilien und einer Engländerin. Es geht darum, verschiedene Persönlichkeiten und Fähigkeiten im Team zu haben und dann die richtige Person für ein Projekt auszuwählen.
Was braucht man, um eine großartige Idee zum Leben zu erwecken?
Das Klischee besagt: harte Arbeit. Und das stimmt natürlich, es ist wirklich harte Arbeit, aber es geht auch um Kooperation. Man braucht die richtigen Leute. Gerade habe ich z. B. ein Projekt für die New York Pride beendet. Gilbert Baker, der Schöpfer der Regenbogenflagge, ist im März verstorben und so haben wir in seinem Andenken eine neue Schriftart kreiert. Die Schriftart selbst wurde durch die Regenbogenflagge inspiriert. Bevor wir das Projekt in Angriff genommen haben, haben wir mit seiner Familie gesprochen und sie waren von der Idee begeistert. Damit wird seine Memorial-Webseite gestaltet werden und momentan ist sie überall in New York zu finden. Und all das im Monat der Gay Pride, das ist echt toll.
Und geschafft haben wir das vor allem durch unsere Zusammenarbeit. Einer von uns hatte die Idee, ein anderer hat daraus ein Konzept gebastelt und die Typografie erstellt. Dann kamen unsere Motion Designer ins Spiel. Die sind unglaublich wichtig, denn wenn wir Bildmaterial erstellen, geht es nicht mehr um einfache Grafiken. Wir kreieren bewegte Bilder. Und wenn man sieht, wie sich die Regenbogenflagge dank Motion Graphics zu einer Schriftart verformt, dann schafft das ein ganzheitliches Bild. Außerdem hat uns unser Produzent enorm geholfen, der eigentlich fast schon einem Business Manager gleicht und noch weitere Partner mit ins Boot geholt hat.
Es geht darum, alles um einen herum aufzunehmen. Bei der Arbeit werde ich „der Schwamm” genannt, denn anscheinend sauge ich alles auf, was andere mir erzählen.
Wir haben ein französisches Kickstarter-Unternehmen namens Fontself kontaktiert. Sie haben dann tatsächlich die erste mehrfarbige Schriftart entwickelt. Anstatt selbst lange darüber nachzudenken und einen Entwickler damit zu beauftragen, haben wir uns mit einer kurzen Nachricht an Fontself gewandt. Und innerhalb von zwei Minuten waren sie bereit, mitzumachen. Es war ein ehrenamtliches Projekt und sie haben viel von ihrer Freizeit eingebüßt, viele Wochenenden und Nächte durchgearbeitet, damit es zu Stande kommt. Und das ist eine großartige Erfahrung, die dazu geführt hat, dass eine der ersten bunten Schriftarten der Welt jetzt kostenlos verfügbar ist.
Das ist ein tolles Beispiel für Zusammenarbeit. Es geht niemals nur um eine einzelne Person. Es geht darum, Menschen mit verschiedenen Skills zu haben, die voneinander lernen können.
Seine Tipps für angehende Gestalter
Wie kann man kreative Energie verbreiten?
Es geht darum, alles um einen herum aufzunehmen. Bei der Arbeit werde ich „der Schwamm” genannt, denn anscheinend sauge ich alles auf, was andere mir erzählen. Falls jemand etwas Interessantes sagt, dann google ich das heimlich unter dem Tisch auf meinem Telefon und versuche den Anschein zu erwecken, als würde ich immer noch zuhören.
Man sollte sich immer Notizen machen und neue Bezüge dazu finden. Ich folge vielen außergewöhnlichen Leuten oder Blogs wie z. B. Refinery 29, auch wenn sich das eher an Frauen richtet. Nur so findet man etwas Außergewöhnliches und Inspirierendes. Es geht darum, sich so vielen Eindrücken wie möglich auszusetzen. Natürlich sollte man auch die üblichen Werbeseiten und Designblogs aufsuchen, aber gleichzeitig sollte man sich auch auf andere Dinge einlassen und gelegentlich aus dem Nullachtfünfzehn-Schema ausbrechen.
Ab und zu ein altes Geschichtsbuch zu lesen, kann auch nicht schaden. Unterschiedliche Medien zu konsumieren ist wirklich wichtig, anstatt nur auf Grafiken, Artikel oder Bücher zurückzugreifen. Man sollte sich Filme und Sendungen auf Netflix ansehen, Theatervorstellungen besuchen. Ich habe das große Glück, dass ich in New York wohne, wo es viele fantastische Off-Broadway-Shows gibt, die bereits einige Projekte inspiriert haben. Man sollte einfach wie ein Schwamm sein.
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